Botschafter-Residenzen: Im Wohnzimmer der Macht - DER SPIEGEL

2022-10-09 12:19:12 By : Ms. Rose Wong

Eine Botschaft ist für viele Menschen das Einzige, was sie je von einem fremden Land zu Gesicht bekommen. Und so transportiert ein Botschaftsgebäude immer auch eine Botschaft, wirft also, nach dem Motto "Der Mörtel ist die Message", die Frage auf: Was will dieser Staat uns damit sagen?

Derlei Deuteln an der Fassade kratzt aber nur an eben dieser herum, will sagen: lässt offen, welches Image ein Staat hinter den Mauern pflegt. Denn schaut einmal ein CEO eines Global Players beim Botschafter zum Tee vorbei, oder ein Literaturnobelpreisträger auf ein Stück Kuchen, bleibt das Fußvolk ja ausgesperrt; zumal derlei Empfänge oft nicht in den Botschaften selbst stattfinden, sondern in den privaten Residenzen der Gesandten.

Der Verlag DOM-Publishers schließt nun diese Lücke, indem er einen intimen Blick in die Interieurs von 34 Berliner Botschafterhäusern ermöglicht. Der prächtige Band "Salons der Diplomatie" präsentiert sich primär als charmante Stilkunde im Coffee-Table-Format. Zugleich aber illustriert er, wie sich Diplomaten als Dekorateure in Staatsdiensten hervortun und die privaten Wohn-, Schlaf- oder Badegemächer stets auch Staatshaushalte sind.

Zur Hochzeit der klassischen Diplomatie, die mit dem Wiener Kongress unter Fürst Metternich ("Der Kongress tanzt") 1815 begann und sich bis ins letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zog, spielten die Gesandten noch eifrig den diplomatischen Dreiklang: verhandeln, informieren und vertreten.

Dieses Jobprofil aber gilt nicht mehr. Die Big Deals Handeln die Staatschefs heute selbst aus, schon allein, um sich im wählerwirksamen Glanz der ganz Großen der Welt zeigen zu können. Das Kleingedruckte klopfen dann die Damen und Herren Fachreferenten aus den Ministerien fest.

Und auch mit dem Informieren ist es nicht mehr weit her. Wütet ein Tsunami oder droht politischer Aufruhr, sind selbst entlegene Winkel flugs im Fokus der Medien, das Internet hat die Welt zusätzlich schrumpfen lassen. Wer braucht da noch Diplomaten, die, meist fernab von jeder Action, Pressespiegel zusammenschnippeln?

Vom Job des Diplomaten bleibt also das Vertreten, und davon besonders: das Repräsentieren. Das allerdings wird immer wichtiger.

Der niederländische Politikwissenschaftler Peter van Ham schrieb vor einigen Jahren in dem US-Debatten-Journal "Foreign Policy" von einer neuen Ära der Brand States, der Markenstaaten. In der globalen Konsumentenöffenlichkeit verschmölzen demzufolge viele Eigenschaften, die Marken und Staaten zugeschrieben werden: BMW und Mercedes stünden für deutsche Effizienz und Verlässlichkeit - und Deutschland umgekehrt für BMW und Mercedes. Wolle ein Staat politisch und wirtschaftlich reüssieren, etwa Investoren überzeugen oder Touristen anlocken, werde er versuchen, mit einer geschickten Markenbildung seine "strategische Konkurrenzfähigkeit" zu verbessern.

Die Analyse hat viel für sich. Unter dem britischen Premier Tony Blair geriet der Slogan "Cool Britannia" (eine Variation des patriotischen Gassenhauers "Rule, Britannia!") Ende der Neunziger zu einer Initialzündung für das neue State Branding (obwohl schon die Vorgänger-Regierung unter John Major damit hantierte). Die Message dahinter? Noel Gallagher statt Nebeltristesse, Damien Hirst statt Dauerregen und Alexander McQueen statt Afternoon Tea.

Auch deutsche Werber versuchen sich seitdem als Standort-Sloganologen. Medienhäuser vermitteln mit ihrer "Du bist Deutschland"-Kampagne weichgespülten Wellness-Patriotismus, Bundesregierung und Wirtschaftsverbände rufen das "Land der Ideen" aus, das auch in föderaler Fassung und prahlerisch-provinziell zu haben ist wie etwa in Baden-Württemberg ("Wir können alles. Außer Hochdeutsch").

Für den Diplomaten neuen Typs bedeutet das State Branding: Er mutiert zusehends zum Markenrepräsentanten, zum Brand-Botschafter - und zwar mit seinem gesamten Lebensstil, also inklusive Fernsehcouch, Hausbar und Kloschüssel.

Der Band "Salons der Diplomatie" zeigt nun, wie das funktioniert – oder eben nicht. Denn an dem (im abgebildeten Fall allerdings vorvormaligen) Botschafter Großbritanniens etwa scheint Tony Blairs pop-moderne Message vom coolen Britannien vorbeigegangen zu sein. Der Vertreter des Vereinigten Königreiches residiert in einer palastartigen Villa im Grunewald, wo das unausweichliche Chintzsofa vor einem Teetisch eben nicht zum Sitzen einlädt, Tänzerinnen aus Porzellan das Mobiliar zieren, und, of course, die Queen samt Gemahl goldgerahmt von einem Foto gefällig auf das wohlfeile Arrangement vergangener Weltmacht-Glorie herablächeln.

Der Repräsentant Russlands dagegen gibt sich in seiner aus Sowjet-Zeiten stammenden Botschaft (die ihm zugleich als Privatresidenz dient) imperial - und zwar mit einer der Ära Putin durchaus angemessenen, zaristisch-absolutistischen Note: Kuppelsaal und prächtiger schwarzer, roter und weißer Marmor inklusive.

Auch der Vertreter der Vereinigten Arabischen Emirate scheint das derzeitige Markenimage seines Staates verinnerlicht zu haben. Seine Residenz sieht aus wie eine Miniaturausgabe eben jener In-Absteigen der globalen Schickeria, die in dem Land derzeit aus dem Wüstensand schießen: ein protziger Indoor-Pool suggeriert touristischen Luxus, Falken auf Porzellantellern und Gold, Gold, Gold bürgen für feudales 1001-Nacht-Flair.

Und wer das so schmucklos wie funktional eingerichtete Heim (kantige Ledersessel, grau getünchte Wände) des schwedischen Botschafters betrachtet, verknüpft unweigerlich die unaufgeregte, aber erfolgreiche Konsensdemokratie des Landes mit dem nüchternen Design eines großen schwedischen Möbelhauses.

Wohnst du noch, oder lebst du schon? Die meisten Botschafter in Berlin würden beide Fragen verneinen. Sie müssen ja aus ihrer Privatwohnung eine Staatsaffäre machen.