Brauchen die Grünen einen Generationswechsel?: Aus der Zeit gefallen - n-tv.de

2022-10-09 12:13:48 By : Ms. Cherry Wang

1983 zogen die Grünen in den Bundestag ein. Sie machten nicht nur mit ihren Aktionen auf sich aufmerksam, sondern auch mit ihrer Jugendlichkeit.

Jung wirkt die eigentlich so jugendliche Partei schon lange nicht mehr. Seit Jahren prägt eine Generation die Grünen: Männer und Frauen, die in den frühen 50er-Jahren zur Welt kamen. Hat die alte Garde die Zeit für ihren Ausstieg verpasst? Schaden Trittin und Roth der Partei?

Ludger Volmer passt nicht an diesen Ort. Der frühere Bundesvorsitzende der Grünen schlendert ins Wiener Café im schicken Berliner Stadtteil Grunewald. Er setzt sich an einen der Tische in dunklem Marmorlook, lässt seinen Blick durch das Lokal schweifen. Volmer sieht die dunkelroten Tapeten, die goldverzierten Lampenschirme und all die Damen mit silbernem Haar, die über ihre Vorgärten sprechen. Volmer wirkt mit seinen 60 Jahren viel zu jung dafür. Dass er ausgerechnet diesen "ruhigen Ort" für das Interview ausgesucht hat, ist vielleicht nur ein Zufall, vielleicht aber auch ein Signal. Denn ihn eint nur eines mit den Gästen: Seine große Karriere liegt längst hinter ihm. "Meine Zeit war abgelaufen vor sieben Jahren", sagt Volmer. Die Zeit seiner Generation sei damals abgelaufen.

In ihrer Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr waren sich Ludger Volmer und Jürgen Trittin einst sehr einig. (Bild von 1995)

Im Januar 1980 gründete Volmer mit einem bunten Haufen politisierter junger Männer und Frauen die Grünen. Er trug dazu bei, das Bündnis zu dem zu machen, was es heute ist: die erfolgreichste Parteigründung in der deutschen Nachkriegszeit. Doch am Ende der ersten Regierungsbeteiligung der Partei im Jahr 2005 war für ihn Schluss - mit 53 Jahren. Viel zu früh für die Maßstäbe des Cafés, in dem er jetzt wie ein Fremdkörper wirkt. Viel zu früh auch für die Maßstäbe jeder anderen Partei. Für das Establishment beginnt die richtige Karriere oft erst mit 53. Doch für die Grünen galt noch nie, was für das Establishment gilt. So zumindest das Image der Partei. Die Realität sieht heute anders aus. Volmer ist eine Ausnahme.

Seine Altersgenossen denken gar nicht daran, ihre Posten zu räumen. Jürgen Trittin und Claudia Roth verkörpern seit Jahren die Grünen. Haben sie den richtigen Moment für den Ausstieg verpasst? Schaden die ehrgeizigen Endfünfziger der der Partei, wenn sie jetzt wieder die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl 2013 an sich reißen?

Als die Grünen 1983 erstmals in den Bundestag einzogen, eckte die Partei noch an. Die Abgeordneten trugen Jeans und Wollpullover statt Anzug und Krawatte. Auf ihren Pulten standen Sonnenblumen. Mindestens genauso markant war: Die Männer und Frauen waren Anfang 30 oder gerade 40 Jahre alt und damit weit von jenem gesetzten Alter der Abgeordneten von Union und Sozialdemokraten entfernt. Die Basis war oft noch viel jünger.

Ludger Volmer nippt an seinem Kaffee. Dann sagt er: "Viele der heute 50- bis 60-Jährigen leben in dem Selbstmissverständnis, sie seien immer noch Jugendliche."  Im Kopf möge das bei dem einen oder anderen ja noch zutreffen, "aber im Habitus finde ich sie teilweise altmodisch und altbacken." Nicht altbacken genug für das Café in Grunewald vielleicht, aber zu altbacken für die Spitze der Grünen - diesen Eindruck teilen offensichtlich auch immer mehr Bürger. Ein Eindruck, der sich wohl spätestens bei den Bundestagswahlen 2013 manifestieren wird.

Kontrastprogramm: Im Strickpulli und mit langen Mähnen sitzen Grüne Anfang der 80er-Jahre im Bundestag.

Die Piratenpartei macht den Grünen ihre Stammwählerschaft strittig, die Jung- und Erstwähler. Bei der jüngsten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen schafften es die Piraten bei ihnen aus dem Stand auf 17 Prozent. Die Grünen lagen nur einen Prozentpunkt davor. Im Saarland sah es noch viel dramatischer aus. Dort machten 23 Prozent der Erstwähler ihr Kreuz bei den Piraten, nur 8 bei den Grünen. Volmer sagt: "Ich bekomme immer wieder zu hören: Wenn die Grünen nicht so spießig auftreten würden, gäb's die Piraten gar nicht."

Die alte Garde an der Spitze der Partei scheint diese Gefahr nicht zu erkennen. Warum auch - rein biografisch liegen noch Jahre zwischen ihnen und den Gästen des Wiener Cafés. Doch für die Grünen reicht das eben nicht. Und für Politker der Generation Trittin persönlich ist es für einen Ausstieg paradoxerweise vielleicht auch schon zu spät. "Nach Rot-Grün war das Leben noch lang genug, um was Neues zu beginnen", nennt Volmer als einen von vielen Gründen für seinen Rücktritt.

Die Grünen stecken in einem Dilemma: Die Grünen-Spitze kann das Image der Partei nicht mehr gänzlich verkörpern. Das heißt aber nicht, dass sie politisch nicht mehr leistungsfähig wäre, dass ihre Kräfte nur noch für die Rente reichen. Im Gegenteil. Vor allem dank ihrer Erfahrung kann mit ihnen in der Partei kaum einer mithalten. Jungen Talente mit einer frischeren Herangehensweise fehlt bei den Grünen der Raum, sich zu entfalten.

Ein sonores Summen begleitet das Gespräch mit Robert Habeck. Gummi auf Asphalt - die Abriebgeräusche der Reifen dringen ins Wageninnere, während der grüne Stern im Norden durch sein Schleswig-Holstein rauscht. Der 42-Jährige blickt auf das Land, das er nach dem Wahlsieg im Mai Ihm gelang es trotz aller Sorgen, Mit einem Stimmanteil von 22 Prozent bei den Erstwählern konnte sich Habeck klar von den Piraten absetzen, die auf 16 kamen. Wenn es um Grüne geht, die für höchste Ämter taugen, ist neben dem Tübinger Bürgermeister Boris Palmer oder dem Hesse Tarek Al Wazir darum auch immer Habeck im Gespräch.

"Von den Grünen wird erwartet, dass sie jung sind, frisch und unverbraucht", sagt Habeck. "Aber das Image des Andersseins, der ewigen Jugend, das ging ein wenig verloren." Habeck formuliert das nur halb als Vorwurf. Die Meinung, dass die alte Garde ihre Posten räumen müsste, teilt er nicht. Es laufe bei den Grünen eben nicht wie bei der CDU, wo dann irgendwann ein Helmut Kohl sagt: "Komm, mein Mädchen, ich mache dich jetzt zur Umweltministerin und wenn du das ein paar Jahre gut machst, dann kannst du ja mal was anderes werden." Ein Hochdienen vom Kofferträger zum Spitzenkandidaten gebe es in der Partei nicht.

Robert Habeck wurde erst spät Parteipolitiker. Das merkt man ihm an, obwohl er nun in Regierungsverantwortung steht.

Bei den Grünen gilt noch immer das Motto: stützen oder stürzen. Wer etwas werden will, muss sich den Granden der Partei stellen. Habeck sagt: "Freie Wahl für den Tüchtigen, und auch freie Wahl für Jürgen Trittin und Claudia Roth."

Die Angst, sich im Kampf um die Spitzenkandidatur einem Politprofi dieser Klasse zu stellen, ließ vielleicht auch Habeck lange zögern. Auf die Frage, ob er das Amt übernehmen möchte, antwortet er: Er müsse jetzt all seine Kraft darauf verwenden, die Energiewende von Schleswig-Holstein aus umzusetzen.

Im Land gebunden zu sein, das ist das Argument etlicher anderer aufstrebender junger Grüner, die sich in ihrer Heimat einen Namen gemacht haben. Doch auch im Bundestag sitzt manch einer, der könnte, wenn er denn wollte.

Gerhard Schick antwortet nur per E-Mail. Der grüne Bundestagsabgeordnete bereist bei der Interviewanfrage die USA. Außerdem ist der 40-jährige Finanzpolitiker, der Börsensteuern und , gefragt in Zeiten, in denen die Euro-Zone auseinanderzubrechen droht. Schick schreibt: "Unser Wahlkampfteam muss schon etwas anders aussehen als zu Zeiten Helmut Kohls." Er mahnt an, dass sich weiterhin diejenigen mit der Partei identifizieren können müssen, die nach frischem Wind in der Politik verlangen.

Auf der anderen Seite kann Schick die Sicht des Spitzenpersonals, das sich nicht von seinen Posten trennen kann, in gewisser Weise nachvollziehen, sagt aber: "Wichtig ist, dass das nicht zu Verkrustungen der Partei insgesamt führt."

All das klingt nach dem Rebellentum, den sich so viele wieder von den Grünen wünschen. Doch auf die Frage, ob er selbst für das Spitzenamt kandidieren will, antwortet Schick: "Nein. Jürgen Trittin hat in der Partei zu Recht breite Unterstützung."

Der grünen Nachwuchshoffnung Kerstin Andreae stockt bei dieser Frage gar kurz der Atem. Dann gluckst die 43-Jährige los. Dabei gibt es eigentlich keinen Grund zu lachen. Die grüne Volkswirtin mit starken Kontakten zur Unternehmerwelt ist eine Vermittlerin. Sie wäre bestens geeignet, grüne Forderungen für die Energiewende mit Forderungen der Wirtschaft in Einklang zu bringen. Manch ein Beobachter bezeichnete sie schon als "Shooting Star". Doch Andreae sagt: Sie wäre doch gerade erst zur stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion gewählt worden. An eine Spitzenkandidatur denke sie nicht. Alles zu seiner Zeit, so das Motto von Andreae. Denn laut der Grünen ist die Partei zurzeit zufrieden mit ihren Charakteren in der ersten Reihe.

Die Grünen polarisieren nicht mehr mit ihren Forderungen. Der Atomausstieg ist längst Konsens.

Den Blick der Wähler, vor allem der Jung- und Erstwähler, scheint sie dabei kaum wahrzunehmen. Andreae sagt etwas trotzig: "Die Debatte über den Generationswechsel, die kommt von außen, die kommt nicht von innen." Sie sagt es so, als wäre die Sicht der Außenstehenden für den Erfolg der Partei nicht ausschlaggebend, als wäre die öffentliche Debatte kein Hinweis darauf, dass da womöglich etwas schiefläuft bei den Grünen.

Der Aussteiger Volmer nippt nach einem größeren Exkurs noch einmal an seinem Kaffee. Er dürfte kalt sein. Wenn es um die Lage seiner Partei geht, sprudeln die Worte aus seinem Mund. Getränke sind da nur im Weg. Dass die jungen Talente nicht zum Zuge kommen, ist ein gewaltiges Problem für die Grünen, davon scheint Volmer aus gutem Grund überzeugt.

Der Partei gelang es, nahezu alle ihre Kernforderungen aus ihrer Gründungszeit umzusetzen: Der Atomausstieg und die Energiewende sind Konsens. Das große Friedensthema der Partei, der Ost-West-Konflikt, hat sich durch den Fall des Eisernen Vorhangs aufgelöst. Heute debattiert selbst die Union über Frauenquoten in Unternehmen. Und nun droht den Grünen ausgerechnet der Verlust ihres letzten großen Alleinstellungsmerkmals: das Image der Alternative zum etablierten Politikbetrieb, zum betagten Politikertypus.

Joschka Fischers als Übergrüner wirft trotz all seiner Erfolge auch noch immer einen Schatten auf die Partei: das überflüssige Amt des Spitzenkandidaten.

Nur scheinen die Grünen das selbst nicht zu erkennen. Ausgerechnet in dieser vertrackten Situation stürzen sie sich in einen öffentlichkeitswirksamen Schaukampf um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl. Roth hat schon ihren Anspruch auf einen der beiden Plätze an der Doppelspitze bekundet, Trittin gilt als gesetzt. Da sich auch - so chancenlos er auch sein mag - angekündigt hat, müssen die Grünen Mitte November in die Urwahl. Volmer spricht beim Gedanken daran vom "Dschungelkrieg", den die Grünen in ihre Partei hereintragen. Völlig sinnlos. Denn einen Spitzenkandidaten brauche nur eine Partei, die auch den Kanzler stellt. Davon sind die Grünen weit entfernt.

Die Suche nach dem Spitzenkandidaten zeigt vielmehr, dass die Grünen offenbar irrtümlicher Weise noch dem System des früheren Bundesvorsitzenden und Übergrünen Joschka Fischer nachhängen. Er etablierte das Amt, denn mit dem Charismatiker als omnipotente Führungsfigur schaffte es die Partei in die Bundesregierung. Doch diese Lücke werden Trittin und Roth nie schließen können. Stattdessen werden sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit mit der Kandidatenfrage auf sich ziehen - mit all ihren Mängeln und darunter vor allem der fehlenden Einsicht, dass ihre Zeit vorbei ist.

Volmer sagt: "Viele, die 2005 nicht aufhören konnten, eifern jetzt um Fischers Nachfolge." Mit einem regelrecht autistischen Blick, der über den Horizont der eigenen Karriere nicht mehr hinausgehe.

Volmer trinkt den letzten Schluck seines Kaffees, stellt die Tasse auf den Marmortisch. Er steht auf, passiert die goldenen Leuchten, die Damen mit dem silbrigen Haar. Er hat noch weitere Termine heute. Er arbeitet als Dozent und Berater, ist Experte in Sachen Außen- und Verteidigungspolitik. Das Ende in der ersten Reihe der Grünen war nicht das Ende seines Lebens.