Während man in anderen Ländern mutig mit kräftigen Farben umgeht und die Decke als vollwertiges Raumelement mit in die Gestaltung einbezieht, fällt uns Deutschen für die fünfte Wand nicht viel mehr ein als die "Allzweckwaffe Weiß". Noch! Denn der Trend geht auch hierzulande zur farbigen Decke, wie uns Marcel Ullrich, Farbberatungsexperte bei Farrow & Ball, verriet. Warum das so ist, wie eine farbige Decke den Raum verändern kann und was man beim Streichen beachten muss, darüber haben wir mit dem Farb-Profi im Interview gesprochen. SCHÖNER WOHNEN (SW): Herr Ullrich, ist das Thema Farbe an der Decke aktueller geworden, seitdem wir viel mehr Zeit zu Hause verbringen? Marcel Ullrich (MU): Auf jeden Fall! Das Streichen der Wände ist in der Pandemie ein wichtiger Mittelpunkt der Raumgestaltung geworden. Auch die Decke spielt hier eine große Rolle. Für mich ist ein Farbkonzept erst dann schlüssig, wenn alle fünf Wände gestrichen sind.
SW: Wie kann eine farbige Decke die Raumwirkung beeinflussen? MU: Farbig gestaltete Decken verändern ein Farbkonzept komplett. Ich höre von meinen Kunden häufig den Wunsch, dass der Raum heller wirken soll. Um dunkle Farben auszubalancieren, sollte die Decke daher möglichst hell sein. Je heller allerdings das Weiß ist, desto dunkler wirkt die Wandfarbe. Je größer ein Kontrast ist, desto auffälliger wird er für das Auge. Das gleiche gilt auch für die Raumhöhe: Möchte man eine niedrige Raumhöhe kaschieren, bietet es sich an, die Kontraste zwischen Wand- und Deckenfarbe zu reduzieren. Eines der wichtigsten stilistischen Elemente bei der Deckengestaltung ist es deshalb, zumindest das eingesetzte Weiß abzutönen.
SW: Wand und Decke im gleichen Ton zu streichen erfordert einigen Mut. Was sagen Sie zum All-Over-Look? MU: Die Gestaltung von Wänden und Decke in einer einheitlichen Farbe sorgt für einen besonderen Look, der bisher eher selten vorkommt. Allerdings schafft dieser ein unvergleichlich umhüllend gemütliches Raumgefühl. Tatsächlich wirkt das gar nicht einengend, sondern schafft durch die fehlenden Kontraste eher Weite für das Auge. Ein weiterer Vorteil: Ungeliebte Besonderheiten in der Architektur können kaschiert werden, und visuell entsteht Ruhe.
SW: Stuck, Leuchten, Rohre – wie geht man damit am besten um? Mitstreichen oder gezielt Kontraste setzen? MU: Ich gehe häufig durch einen Raum und überprüfe, was mein Auge automatisch mit Aufmerksamkeit auf sich zieht. Mir persönlich mutet zum Beispiel abgesetzter Stuck häufig zu klassisch an, daher streiche ich ihn weg – wenn man etwas in der gleichen Farbe streicht, verschwindet es ja und wird quasi unsichtbar. Stuck wegzustreichen ist aber für viele ein Fauxpas und reine Geschmackssache. Je nachdem, wie opulent der Stuck ist, kann man einfach nicht anders als ihn zu betonen. Rohre, Kabelkanäle und Leuchtschienen sind aber selten ein Highlight und lenken eher von den eigentlichen Hinguckern ab, daher würde ich diese immer in der gleichen Farbe verschwinden lassen.
SW: Das Malern der Decke ist sicherlich nicht so kompliziert wie Tapezieren, dennoch braucht es eine gute Vorbereitung. Ihre Tipps? MU: Grundsätzlich ist es neben der Auswahl des richtigen Farbtons wichtig, den Untergrund so gut wie möglich vorzubereiten. Er sollte sauber, trocken und saugfähig sein. Das heißt: Spinnenweben entfernen, Löcher mit dem Spachtel schließen und anschleifen. Bevor der Deckenanstrich erfolgt, empfehle ich eine Grundierung. Diese sorgt zum einen für die ideale Haftung, egalisiert Unebenheiten und bildet somit einen einheitlich saugfähigen und vorpigmentierten Untergrund. Zudem verhindert eine Grundierung die Bildung von Streifen auf der getrockneten Fläche.
SW: Das größte Problem in der Praxis sind vermutlich Tropfen und Spritzer. Welche Eigenschaften sollte eine gute Farbe für die Zimmerdecke haben? MU: Wie beim Kochen ist es auch beim Streichen wichtig, die guten Zutaten mit dem passenden hochwertigen Handwerkszeug zu benutzen. Ich kann nur den Tipp geben: Sparen Sie nicht an der Farbe! Farbtöne können sich vielleicht ähneln, aber die Struktur der Farbe bleibt ein großer Unterschied und damit auch die Art, wie sie zu verarbeiten ist. Für die Decke empfehlen wir gerne eine möglichst matte Variante, wie unsere Estate Emulsion. An der Decke kommt es häufig zu Streiflicht, und je höher der Glanzgrad einer Farbe ist, desto deutlicher werden Unebenheiten im Untergrund. Achten Sie beim Werkzeug darauf, dass Sie eher eine kurzflorige Rolle nutzen, die die Farbe gut aufsaugt, aber mit wenig Struktur wieder abgibt. Vor dem Streichen sollten Sie die Rolle immer etwas anfeuchten und auf loses Material überprüfen, damit sich dieses nicht auf der Wand feststreicht.
SW: Und zu guter Letzt: Ihr ultimativer Tipp, um beim Überkopf Steichen Kräfte zu sparen? MU: Streichen Sie im Kreuzgang, das heißt, nicht immer in eine Richtung streichen, sondern die Decke in überschaubare Quadrate teilen und erst in die eine Richtung und dann um 90 Grad versetzt streichen. Dadurch lassen sich sogenannte Nasen von der Rolle besser glattrollen, und man bleibt in Bewegung. Machen Sie nicht nur kurze Streichbewegungen, sondern ziehen Sie möglichst lange Bahnen. Und: Die über Generationen weitervererbte Teleskopstange ist eine schöne Erinnerung, kann allerdings die Arbeit erschweren. Heutzutage sind diese vom Gewicht deutlich leichter. Danach bietet es sich aber auf jeden Fall an, in der warmen Badewanne die Muskeln etwas zu entspannen.
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