Der Bahnhof Canfranc erwacht aus dem Dornröschenschlaf und wird ein Luxushotel von Barceló | STERN.de

2022-10-13 06:48:20 By : Mr. Zako Zhong

"No pasar – nicht durchgehen" lautet die Anweisung auf den Schildern am Bahnhof Canfranc, einem kleinen Bergdorf in den spanischen Pyrenäen. Der Weg zum Hauptgebäude wird von einem Gitterzaun versperrt, fast alle Gleise sind verrostet. Zwischen den Schwellen sprießt mannshoch das Unkraut.

Zwei kurze Regionalzüge aus Zaragoza erreichen pro Tag den in Renovierung befindlichen Bahnhof und haben hier ihre Endstation. Nur eine Handvoll Passagiere steigt hier ein und aus. Meist handelt es sich um Tagesbesucher, die wegen des vollkommen überdimensionierten und verfallenen Bahnhofsgebäude kommen – einem der bekanntesten "Lost Places" des Landes.

Doch schon Ende 2022 könnten hier Reisende nicht nur aus-, sondern auch stilvoll absteigen: Die spanische Hotelkette Barceló aus Mallorca, die 270 Häuser in 24 Ländern betreibt, hat jetzt angekündigt, in dem Gebäude das Royal Hideway Canfranc mit 104 Zimmern zu eröffnen.

In die ehemalige Bahnhofshalle soll die Rezeption einziehen. Geplant sind im Erdgeschoss auch ein Wellnessbereich mit Schwimmbad. Im ersten und zweiten Stockwerk werden die Gästezimmer untergebracht sein.

Mit der Innenarchitektur wurde das Büro Ilmioe Design aus Madrid beauftragt, die sich auf Hotels spezialsiert haben. "Die Spezialisten orientieren sich bei der Neugestaltung an der Ästhetik alter Bahnhöfe und Züge des frühen 20. Jahrhunderts und kombinieren den Look mit gekonnt zeitgenössischen Elementen", heißt es in einer Presseerklärung von Barceló.

Über Jahrzehnte verfiel dieses architektonische Juwel, das in den 1920er Jahren im Stil des eklektizistischen Historismus erreichtet wurde. Als Estación Internacional de Canfranc wurde der Grenzbahnhof 1928 vom spanischen Königs Alfons XIII. und vom damaligen französischen Staatspräsidenten Gaston Doumergue eröffnet. Tausende von Reisende zwischen beiden Ländern sollten hier täglich abgefertigt werden und von Spanien als ersten Eindruck den einer Großmacht erhalten.

Auf der einen Seite des fast 250 Meter langen Gebäudes mit seinen 365 Fenstern und 150 Türen lagen die Gleise für die Züge aus Frankreich. Diese hatten die normale europäische Spurweite von 1435 Millimetern, auf der anderen Seite verliefen die spanischen Gleise mit 1668 Millimetern Breitspur.

Aber schon damals war das Aufkommen zwischen Zaragoza und dem französischen Pau auf der Nordseite der Pyrenäen begrenzt. Canfranc schaffte es nie, zum Durchgangsbahnhof für Reisende im Fernverkehr zwischen Paris und Madrid zu avancieren. Schon ein Jahr nach Eröffnung brachen die Zahlen durch die Weltwirtschaftskrise ein. Während des Spanischen Bürgerkrieges zwischen 1936 und 1939 wurde der Verkehr sogar ganz eingestellt.

Erst mit der deutschen Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg kam die wiederbelebte Nebenstrecke eine neue Bedeutung zu: zum Transport von Wolfram-Erzen aus Portugal für die deutsche Rüstungsindustrie. 1942 wehte sogar die Hakenkreuzfahne auf dem Dach. Die Rechnung für den Rohstoff wurde im Gegenzug mit Raubgold bezahlt. Laut gefundener Zollpapiere sollen 86,7 Tonnen Gold in Canfranc verschoben worden sein.

Aber auch Flüchtlingen vor den Nazis diente der Ort als Zwischenstation auf ihrem Weg ins Exil über Lissabon nach Nord- und Südamerika. Albert Le Lay, der Chef des Zolls auf französischer Seite, arbeitete für die Résistance. Später vermauerten die Spanier den Grenztunnel.

Unter der Franco-Diktatur gab es kaum noch Grenzverkehr. Im März 1970 kam der Betrieb auf französischer Seite vollständig zum Erliegen: Ein entgleister Güterzug hatte einen Brückenbau zwischen den Ortschaften Accous und Lescun zerstört.

Seitdem verfiel der größenwahnsinnige Bahnhof. 2002 erhielt die Verkehrsruine immerhin den Status eines kulturellen Erbes. 2013 erwarb die Regierung von Aragón Canfranc mit dem Ziel der Renovierung. Und es wurden Gelder von der EU organisiert, insgesamt 400 Millionen Euro für die "Revitalisierung des Gebäudes und der Strecke", wie ein Tour-Guide bei einer Führung erzählt.

Denn der Bahnhof ist inzwischen zur Baustelle geworden. Das Dach wurde neu gedeckt, Unterführung und Haupthalle strahlen mit ihren Kacheln im alten Glanz. Aber in Frankreich fährt der Zug von Pau nur bis Bedous. Wann die fehlenden 33 Kilometer bis zur Grenze in Angriff genommen werden, bleibt offen.

Derweil träumt Spanien wieder von einem großspurigen internationalen Verkehrsprojekt - am Bedarf vorbei. Diese Art von Baugeschäft hat in Spanien Tradition, wie die Geisterflughäfen von Castellón oder Ciudad Real mit der längsten Piste Europas zeigen. Es sind nichts weiter als Prestigeobjekte für Provinzpolitiker.

Doch im Falle von Canfranc gibt es auch einen politischen Hintergedanken: Die geografisch kürzeste Bahnverbindung zwischen Spanien und Frankreich könnte hier wiederbelebt werden. Denn die bisherigen Routen führen in Spanien entweder durch das Baskenland oder durch Katalonien - beides autonome Regionen, die nach Unabhängigkeit streben.

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