Iris Ceramica: Keramikhersteller will Energiekrise mit Wasserstoff lösen

2022-10-09 17:50:56 By : Ms. Jazzy Zhang

Die Chefin von Iris Ceramica will die Versorgung des Unternehmens sukzessive auf 100 Prozent grünen Wasserstoff steigern.

Die Chefin von Iris Ceramica will die Versorgung des Unternehmens sukzessive auf 100 Prozent grünen Wasserstoff steigern.

Fiorano Modenese Wer durch die Werkshallen von Iris Ceramica nahe Modena läuft, spürt sofort, wie energieintensiv die Produktion hier ist: Große Mahltrommeln durchrütteln die Rohmaterialen, in 20 Meter hohen Zerstäubern entsteht bei 600 Grad Celsius das feine Pulver, aus dem später die Keramikoberflächen gepresst werden. Am deutlichsten wird das Energiedilemma am 100 Meter langen Gasofen, in dem die fertigen Elemente gebacken werden – bei mehr als 1200 Grad.

Schon im vergangenen Jahr zogen die Energiepreise stark an. Der Gaspreis habe sich damals für sie verzehnfacht, rechnet Firmenchefin Federica Minozzi vor. Die Auswirkungen des Ukrainekriegs spürt die Iris-Gruppe, einer der größten Keramikproduzenten Italiens, nun unmittelbar.

„In diesem Moment der geopolitischen Krise hat der kontinuierliche Anstieg der Energiepreise auch Auswirkungen auf abgeleitete Kosten, etwa beim Transport oder der ohnehin schon schwierigen Verfügbarkeit von Rohstoffen“, erklärt die 47-Jährige. Das alles seien Faktoren, die sich auf die gesamte Fertigung auswirken würden – nicht nur in der Keramik. „Wir riskieren, grundlegende und strategische Industriesektoren für unser Land in Schwierigkeiten zu bringen“, sagt Minozzi.

Die Regierung in Rom hat bereits reagiert, senkte die Mehrwertsteuer auf Gas und Strom und setzte Netzentgelte aus. Besonders energieintensive Unternehmen wie das von Minozzi sollen im ersten Quartal eine Steuergutschrift in Höhe von 20 Prozent des Stromkostenanstiegs bekommen.

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Das sei ein Anfang, reichen werde es nicht, sagt Minozzi. „Ich glaube, dass langfristige strukturelle Lösungen entwickelt werden sollten, nicht nur kurzfristige Lösungen, die die Auswirkungen von Energiepreiserhöhungen beruhigen.“ Ihr blieb nichts anderes übrig, als wieder die Listenpreise zu erhöhen. Obendrein hat sie, nach Vorwarnung der Kunden, eine Energieabgabe eingeführt, die an den Strom- und Gaspreis gekoppelt ist – ähnlich wie beim Kerosinzuschlag in der Luftfahrt.

In der Energiekrise zahlt sich nun aus, dass 50 der weltweit 1500 Mitarbeiter des Familienunternehmens aus Fiorano Modenese in Norditalien in der Forschung und Entwicklung sitzen. Bereits vor zwei Jahren begannen die Planungen für ein in der Branche einmaliges Projekt: Gemeinsam mit dem staatlichen Pipelinebetreiber Snam wird das erste mit grünem Wasserstoff angetriebene Keramikwerk realisiert.

Dafür werden derzeit Solarmodule für eine Leistung von 2,5 Megawatt auf einem der Werksdächer installiert. Die Sonnenenergie treibt dann einen Elektrolyseur an, um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufzuteilen.

Der Ukrainekrieg hat das Projekt nun beschleunigt. „Unser Ziel ist es, bis Endes des Jahres eine 25-prozentige Wasserstoffmischung zu erreichen“, kündigt Minozzi an, die direkt nach dem Jura-Studium in die Familienfirma einstieg.

Nach und nach soll die Versorgung dann auf 100 Prozent grünen Wasserstoff hochgefahren werden. 1500 Tonnen CO2 sollen so jährlich eingespart werden. Funktioniert es beim Prototyp, soll die Technologie in allen Fabriken eingeführt werden. Minozzis Ziel: bis 2050 gar keine CO2-Emissionen mehr.

Die Käufer der Produkte des Unternehmens sind längst nicht mehr nur die Großhändler für Boden- und Wandbeläge. Auch wenn Iris Ceramica, in den 1960er-Jahren von Minozzis Vater Romano gegründet, noch mit ganz klassischen Fliesen anfing, produziert es heute vor allem großflächige Keramik- und Marmoroberflächen. Architekten und Designer nutzen sie in ihren Prestigeobjekten.

Und auch das Direktgeschäft mit Firmenkunden wächst: Ob Ferrari, Audi oder BMW, ob Gucci oder Starbucks: Sie alle verbauen die Oberflächen von Iris Ceramica in ihren Stores und Restaurants, schaffen damit Tresen, Küchen oder Showroom-Wände. In den USA, die mit mehr als zwölf Prozent der Verkäufe vor Italien und Deutschland den wichtigsten Markt der Gruppe ausmachen, stammen etwa die Tische aller McDonald‘s-Filialen aus der Nähe von Modena.

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Das B2B-Geschäft begann schon in den 1980er-Jahren: Damals übernahm Minozzi senior die Firma Graniti Fiandre, die Böden und Wandverkleidungen aus Granit und Marmor fertigte. Kunden waren Flughäfen, Bahnhöfe und Autohäuser. „Das Produkt war zwar nicht schön, aber technisch extrem leistungsfähig“, erklärt Federica Minozzi. Mit der Zeit kam die Ästhetik dazu – und damit der Eintritt in den Luxusmarkt. Airport-Lounges oder Malediven-Hotels nutzen die Oberflächen heute.

Romano Minozzi, der fast täglich mit seiner Tochter mittagessen geht, hält mit 86 Jahren noch immer die Mehrheit an der Gruppe. Laut „Forbes“-Liste hat er es zum Milliardär gebracht.

Wie viel Umsatz das Unternehmen bislang in Russland gemacht hat, will Minozzi auf Nachfrage nicht verraten. Unklar bleibt auch, was mit einem Grundstück im Land passieren soll, das sie schon vor vielen Jahren erworben hat, um dort nach Vetschau im Spreewald und dem US-Bundesstaat Tennessee die dritte Auslandsfabrik zu bauen. Schon länger soll das Projekt auf Eis liegen, die Investitionen in die italienischen Standorte hätten Vorrang.

Die aktuelle Krise trifft das Unternehmen aber in einem Moment der Stärke. 2019 machte die Gruppe einen Umsatz von 480 Millionen Euro. Ein Jahr später brach er um 15 Prozent ein – wegen Corona und staatlich verordneter Lockdowns. 2021 wiederum wurde mit einem „Plus von 25 Prozent gegenüber 2019“ abgeschlossen, wie Minozzi betont. Damit dürfte der Umsatz nun jenseits der 600 Millionen Euro liegen.

Inmitten der Pandemie hat die Unternehmerin auch 15 Millionen Euro in Innovationen investiert. „Mein Vater hat mir beigebracht, dass in Krisenzeiten der richtige Zeitpunkt dafür ist“, sagt Minozzi. Eine der alten Fabriken wurde modernisiert, dort werden nun massive Keramikkörper mit besonderen Oberflächen hergestellt. Die eine heißt „Active“ und tötet nach wenigen Stunden Bakterien und Viren ab – auch Covid-19. Die Deutsche Bahn hat diese Technologie schon auf Bahnhöfen verbaut.

Die andere Neuerung heißt „Hypertouch“ und integriert die Keramikwände durch Sensoren unter der Oberfläche ins Smarthome. So lässt sich durch leichte Berührung etwa das Licht anschalten oder die Heizung regeln.

Die Technik integriert die Keramikwände durch Sensoren unter der Oberfläche ins Smarthome.

Die Technik integriert die Keramikwände durch Sensoren unter der Oberfläche ins Smarthome.

Iris Ceramica dürfte wegen der Investitionen und des finanziellen Polsters der Minozzis gestärkt aus der Krise kommen. Viele kleinere Unternehmen in der Nachbarschaft – rund 80 Prozent der italienischen Keramik stammen aus der Nähe von Modena – dürften es schwerer haben: Der Anstieg der Gaspreise seit Mitte 2021 habe die Branche schon vor „kritische Probleme“ gestellt, erklärt Giovanni Savorani, Chef des Industrieverbands Confindustria Ceramica.

Durch den Ukrainekrieg sei daraus „ein echter Notfall“ geworden. Gerade für kleinere Hersteller lohne sich die Produktion derzeit nicht. Viele Betriebe stünden jetzt schon still – und hätten ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt.

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