Keramikfliesen von Karak: Hergestellt nach Raku-Art in Vorarlberg

2022-10-09 17:55:21 By : Mr. minfeng chen

Frei und wild wie Piraten wollen Sebastian Rauch und Thomas Rösler durchs Leben segeln und Schätze finden, sagen sie. In ihren Dreissigern sind die beiden und wirken eher friedlich, wie sie in der Kaffeeküche ihrer Fliesenmanufaktur Karak in Bludenz, Vorarlberg, begeistert über die Schönheit philosophieren. Ein gut gelebtes Leben gehöre für sie ebenso dazu wie die Kacheln, die sie hier in Vorarlberg herstellen. Schön finden sie ihre eigene Werkstatt in einer 150 Jahre alten Spinnerei aus Backstein, das Bergpanorama dahinter, vor allem aber den Rakuprozess, einen traditionellen japanischen Keramikbrand. «Mit den Rakufliesen bringen wir Glanz in die Welt», sagt Rauch selbstbewusst vor einer zerfledderten Piratenflagge, «Dafür nehmen wir den sehr mühsamen Rakubrand in Kauf.»

Auch die beiden Männer, die vor einem halben Jahrtausend beim Tee am japanischen Kaiserhof sassen, hatten pure Schönheit im Sinn. Tanaka Chohiro, Keramiker, präsentierte Zen-Meister Sen-no-Riky seine Schalen. Sie waren dickwandig, schlicht und etwas unregelmässig geformt, schwarz trat der Ton hervor, wo die Glasur ihn nicht bedeckte. Stille Freude, Wohlgefühl und Glück empfand der Zenmeister angesichts des irdenen Geschirrs, «Raku», wie Japaner diesen Zustand nennen. Er befand die Gefässe der Teezeremonie würdig. Chohiro gab seinem Brand den Namen Raku.

Thomas Rösler führt die alte Technik in der Brennwerkstatt vor. Aus einem kleinen Ofen entnimmt er mit einer langen Eisenzange eine auf tausend Grad erhitzte Fliese und balanciert sie schnell in eine grosse offene Feuerstelle mit vergoldetem Abzug, in dem Sägespäne aufgeschüttet sind. Glühende Späne stieben nach oben, gehen in Flammen auf und setzen sich als Asche auf der Fliese ab. Es duftet nach verbranntem Holz. Er schaufelt mehr Sägespäne auf die heisse Fliese. Eine Stichflamme schiesst hoch, und als sie in sich zusammenfällt, greift er die glühende Fliese mit der Zange und versenkt sie in einem Wasserbecken gegenüber der Esse. Es zischt und gurgelt, Rösler verschwindet im Wasserdampf.

«Unsere goldene Feuerstelle ist das Herzstück der Produktion. Hier entsteht die lebendige Schwärze unserer Fliesen», erklärt Thomas Rösler, als er die nächste Kachel aus dem kleinen Brennofen entnimmt und in den Sägespänen ablegt. Feines organisches Material wie Heu, Sägespäne oder Stroh produziert Kohlenstoff, Russ und Asche brennen sich in die unglasierten Flächen ein. «Wir erhalten ein Schwarz mit vielen Schattierungen als Hintergrund für unsere grafischen Muster. Durch die glasierten Stellen scheint das Weiss der Keramik durch und lässt die Muster leuchten. Aber auch mit den Glasuren erleben wir immer wieder Überraschungen, sie reagieren anders auf den Rakubrand als bekannt.»

Die Brenntechnik mit organischem Material bringt eigenwillige, nie ganz perfekte Objekte hervor, doch Fehler in der Produktion führen oft zu neuen Ideen. «Herstellung und Design bergen viele Abenteuer», sagt Sebastian Rauch, der für die grafische Gestaltung der Oberflächen zuständig ist. «Auch die Muster finde ich eher, als dass ich sie erfinde. Sie sind da, wie Radiowellen im Raum, irgendwann fange ich etwas auf. In der Geometrie gibt es unzählige Formen, Zufälle spielen eine Rolle. Über den Mustern kann ich in Mediation verfallen, es ist wie beim Stimmen von Saiten, ich drehe an verschiedenen Stellschrauben, bis es klingt.»

Rauch und Rösler bezeichnen sich bei ihrer Firmengründung als «Schatzsucher»: Der Schatz, den sie entdeckt haben, steht quer in der Mitte des Raumes und trennt die Sitzecke von der Verwaltungsecke. 30, 40 verschiedene Fliesen sind auf einem Gestell angeordnet, Erdfarben, Blautöne und Weiss dominieren in den grafischen Mustern, Grundfarbe der meisten Fliesen ist Schwarz, wie es bei dem Rakubrand entsteht.

Auf die Idee, Rakubrand für Fliesen zu verwenden, kam die Keramikerin Marta Rauch-Debevec, Sebastians Mutter, als sie vor 15 Jahren mit Martin Rauch, einem renommierten Lehmbauer, ihr gemeinsames Haus ausstattete. Die digitalen Ornamente für das innovative Lehmhaus Rauch in Schlins lieferte ihr Sohn Sebastian.

Was als Experiment und Kunstprojekt im Garten der Familie Rauch beginnt, besteht seit 2015 als Unternehmen mit vier festen und einigen freien Mitarbeitern. «Bei Raku Tiles sammeln sich Individualisten», sagt Sebastian Rauch, «Zuerst begeisterte ich meinen Jugendfreund Thomas Rösler für das Projekt. Milorad Kraijisnik war DJ und leitet jetzt unsere Produktion, seine Frau Aurelia kümmert sich um Social Media, Dorota Tomala kann alles, vor allem, den Überblick behalten. Was uns zusammenhält, ist der Wunsch, ein gutes Leben zu führen. Arbeit, Freundschaft, Kreativität und Abenteuer – das wollen wir nicht voneinander trennen. Diesem Ziel segeln wir entgegen.»

Ab September stellt Jasna Strukelj Gmür in ihrem Keramik-Atelier an der Anwandstrasse 28 in Zürich einige Fliesen von Karak aus.  Einzelstücke lassen sich auch hier finden: Good Interiors Werkerei 1. OG (ehem. amag) Luegislandstrasse 105 8051 Zürich Schweiz Schweizer Baumuster–Centrale Zürich Weberstrasse 4 8004 Zürich Schweiz

Der Kurs führt nicht direkt ins Ziel, mal geben spezielle Ideen der Auftraggeber die Richtung vor, mal müssen sie aus Fehlern lernen. Der Charme von Raku liegt ja in der Abweichung. Private Bauherren wie öffentliche Auftraggeber im deutschsprachigen Raum haben sich die die Fliesen bisher geleistet. In Zürich etwa lassen sich die Fliesen im Restaurant Salut Salon sowie in den darüberliegenden Wohnungen an der Weststrasse finden.

Sogar nach Neuseeland seien die Platten bereits geschickt worden. Der Preis ist hoch. Je nach Aufwand kostet der Quadratmeter zwischen 500 und 1500 Franken. Das erklärt Sebastian Rauch unter anderem so: «Bis eine Fliese verpackt wird, nehmen wir sie 36 Mal in die Hand», und weist auf weitere Schritte der Produktion hin.

In einem Trockengestell ruhen die Rohlinge zehn Tage lang, dann wandern sie in die erste Brennung, den Schrühbrand. Heute mischt Milorad die Glasur nach einem von Karak entwickelten Rezept aus Pigmenten, Glas und Quarz, dann trägt er das Muster im Siebdruck auf die vorgebrannten Fliesen auf. Sie sind nun bereit für den Rakubrand in der goldenen Esse.

Der mühseligste und aufregendste Teil des langen Weges zur Rakufliese ist das Putzen der verrussten schwarzen Platte nach dem Brand. Wie werden Sebastians grafische Muster vor dem schwarzen Hintergrund erscheinen? Verwandelt sich rot-grünes Kupferoxid zu Türkis? Wie wirken die Gelbtöne, welche Schattierung ist entstanden, wie tief strahlt das Schwarz? Am Ende aber münden die grafischen Formen, die Farben und der archaische Prozess bei jeder Fliese in stille Freude, Wohlgefühl und Glück. Raku eben.

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