Samstagnacht, gegen 2.30 Uhr, vor einer dieser Hamburger Diskotheken, in denen Turnschuhe tabu sind und eine 6-Liter-Flasche Champagner 14.999 Euro kostet. Nadja Abd El Farrag verlässt den Club. Sie trägt ein schwarzes Kleid, hohe Stiefel, einen hellen Mantel. Ein Mann hält ihr die Tür auf. Die Ex-Freundin von Dieter Bohlen stolpert, schlägt der Länge nach hin, wird ohnmächtig, blutet an der Stirn.
"Bewusstlos im Wodka-Suff", titelt die Boulevardpresse. Und: "Totalabsturz vor Hamburger Club". Wenig später steht der Film vom Sturz ("Naddel fliegt besoffen aufs Maul") im Netz. Und ist bis heute fast 80.000 Mal geklickt worden. "Ganz schön runtergekommen", höhnt ein Kommentator.
Ein paar Wochen später, morgens um zehn, in einem Hamburger Drogeriemarkt: Nadja Abd El Farrag legt an der Kasse zwei Flaschen Wein aufs Förderband. Und wird heimlich fotografiert. "Was ist bloß aus ihr geworden", fragt die Boulevardpresse.
Mehr als zwei Jahre liegen diese Schlagzeilen zurück. Damals bestritt Nadja Abd El Farrag vehement, ein Alkoholproblem zu haben. "Man hat mir was ins Glas geschüttet", sagte sie nach ihrem Sturz vor der Diskothek. "Der Wein war für meine Gäste", verteidigte sie ihren morgendlichen Alkoholkauf. Später hat Nadja Abd El Farrag sich zu ihrem Problem bekannt. Bei "RTL Explosiv". "Ich stehe dazu, dass ich was trinke und weiß auch, dass es ein Problem ist."
Das Leben von Nadja Abd El Farrag, die in Deutschland fast so bekannt sein dürfte wie Angela Merkel, ist ein Lehrstück. Ein Lehrstück über eine Frau, die sich auf eine Karriere als Anhängsel eingelassen hat. Die auf den Märchenprinzen gesetzt und verloren hat. Eine Geschichte für junge Mädchen, die davon träumen, It-Girl, Luder, Spielerfrau oder Freundin eines Stars zu werden. Und es ist Lehrstück über Schadenfreude, von der Arthur Schopenhauer sagte, sie sei mit der "Grausamkeit enge verwandt".
Nadja Abd El Farrag ist hochgewachsen, fast 1,80 Meter groß, feingliedrig und sehr schmal, trotz ihrer Größe hat sie etwas Mädchenhaftes, Zerbrechliches. Ihre Beine sind dünn wie die eines Teenagers. Sie hat sich goldblonde Extensions ins dunkle Haar knüpfen lassen, so als könne sie sich nicht entscheiden zwischen blond und brünett. Ihre Zähne sind weiß wie Schnee. Auf Fotos und vor der Kamera sieht das zu ihrer dunklen Haut perfekt aus. Bei Tageslicht wirkt es künstlich. In ihren brauen Augen liegt nichts Lauerndes, eher Arglosigkeit eines Kindes. Vielleicht ist das der Grund dafür, warum man schnell warm wird mit ihr. Und zu verstehen glaubt, warum ihr eine Freundin lange vor Dieter Bohlen den Kleinmädchen-Spitznamen "Naddel" verpasste.
Als Bohlen sie 2001 wegen der 21-jährigen Estefania verließ, klagte Nadja Abd El Farrag: "Ich bin 37, ich habe keinen Job, keinen Mann, kein Kind. Ich habe keine wirkliche Perspektive. Was soll bloß mit mir sein, wenn ich 50 bin?"
Im März 2015 ist sie 50 geworden. Sie hat keinen Job, keinen Mann, kein Kind. "Bohlen war der Fehler meines Lebens", sagt Nadja Abd El Farrag und sticht mit ihrem Zeigefinger Löcher in die Luft. Ihre langen Kunstnägel sind hell lackiert. Sie spricht überhaupt viel mit den Händen, ballt ihre Fäuste oder zerhackt die Luft."Wenn ich den damals stehen gelassen hätte, hätte ich jetzt ein ganz normales Leben. Einen normalen Mann, vielleicht zwei Kinder."
19 Mal ist Nadja Abd El Farrag in den vergangenen 20 Jahren umgezogen. Als der stern sie im vergangenen Jahr besucht, wohnt sie noch in einem dieser kühlen Neubauten mit viel Glas und Metall in der Hamburger Innenstadt. Ihre Wohnung wirkt wie ein überfüllter Antikladen. Ein schwerer Marmortisch, venezianischer Kronleuchter, Lampen mit Goldähren und Putten verziert, Champagnerkübel im Eckschrank. Relikte aus einer Zeit, in der sie noch Geld hatte. Inzwischen ist Nadja Abd El Farrag ins Hotel gezogen, wohnt auf 13 Quadratmetern. Sie scheint nirgendwo angekommen zu sein.
Ihre Sprache ist ein wenig eigenwillig, manchmal rollt sie das "r", macht aus dem "o" ein "u", sagt "kummt", statt "kommt". Streut englische oder italienische Vokabeln in ihre Rede, sagt "anyway", wenn sie das Thema wechselt, "la grande", wenn sie "groß" meint und "decorazione" statt Dekoration. Auf die Frage, wie viele Sprachen sie außer Deutsch und Englisch spreche, antwortet sie: keine.
Doch das Erstaunliche an Nadja Abd El Farrag ist, dass sie es trotz Kunsthaar, gekünstelter Sprache und falscher Nägel schafft, irgendwie natürlich rüberzukommen. Vielleicht, weil sie so nett ist, so präsent. Vielleicht liegt es aber auch an diesem leicht traurigen Zug, der auf ihrem Gesicht liegt, selbst wenn sie lacht über sich, über ihre Vergangenheit.
Sie redet ohne Scheu, erzählt von ihrem Vater Ibrahim, der aus dem Sudan nach Deutschland kam, um hier Biologie zu studieren. Und ihre Mutter Uta kennenlernte. "Meine Großeltern waren nicht begeistert, dass ihre Tochter einen schwarzen Muslim heiraten wollte, aber sie haben sich damit abgefunden." Ibrahim Abd El Farrag brach sein Studium ab, zog einen Autohandel auf, um seine Frau und zwei Töchter zu ernähren.
Die Familie lebte in einer Vier-Zimmerwohnung in Hamburg-Altona, damals ein reiner Arbeiterbezirk im Westen Hamburgs, in dem kaum Schwarze lebten. Nadja Abd El Farrag lernte früh, wie es ist, gedemütigt zu werden. "Als Kind war ich einmal mit dem Hund draußen, als ein Mann sein Fenster öffnete und schrie: 'Hau ab, Neger wollen wir hier nicht.' Ich rannte heulend nach Hause. Mein Vater ging zu dem Haus, wollte den Mann zur Rede stellen. Doch das Fenster blieb zu." Sie erzählt solche Geschichten, als rede sie übers Wetter. Ihr Vater habe sie gegen solche Angriffe zwar verteidigt, sei aber ansonsten sehr streng gewesen. "Es gab mit dem Rohrstock auf die Hände, wenn wir nicht spurten. In der Pubertät durfte ich mich nicht schminken, keinen Freund haben. Mein Vater knallte sogar den Hörer auf, wenn mein Lehrer anrief, weil ein Mann am Telefon war".
Ein Jahr vor dem Abitur schmiss Nadja Abd El Farrag die Schule. "Ich wollte nur noch weg, Geld verdienen, frei sein." Sie zog zu einer Freundin, begann eine Lehre als Apothekenhelferin und jobbte in einer Boutique. Kaum hatte sie genug Geld gespart, leistete sie sich für 5000 Mark einen neuen Busen. "Meiner war mir immer zu klein." Sie hatte ihren ersten Freund. Er hieß Bert, war groß und blond wie Bohlen. Nachdem ihr Vater die beiden zufällig an der Alster sah, sprach er kein Wort mehr mit seiner Tochter. "Er meinte, ich hätte Schande über die Familie gebracht, weil ich mich mit Männern rumtreiben würde." Das Schweigen dauerte 15 Jahre lang, bis zu seinem Tod.
Ihre Beziehung zu Bert ging in die Brüche. Nach Bert kam Thomas. Danach lief ihr 1989 Dieter Bohlen in der Hamburger Popperdisko "Mezzanotte" über den Weg. Nadja Abd El Farrag war 22. Bohlen ihr dritter Mann. "Gib mir einen Kuss. Ich will dich heiraten", baggerte Bohlen, damals 35, sie an. "Ich schnallte gar nicht, dass sie farbig war", schrieb er später in seiner Biografie. Was er schnallte: Sie hatte eine "granatenmäßige Oberweite".
Die Boutique-Verkäuferin und der Multimillionär, das Aschenputtel und der Prinz. Sie verabredeten sich für den nächsten Tag. An einem Bushäuschen. Naddel kam nicht, versetzte Bohlen, der im weißen Jaguar auf sie wartete. Der fühlte sich "wie ein Groupie".
"Ich hatte kalte Füße bekommen", erinnert sich Nadja Abd El Farrag. "Ich dachte, von dem lässt du schön die Finger. Der ist verheiratet und hat zwei Kinder. Mensch, wäre ich bloß dabei geblieben. Man war jung und naiv. Wo die Liebe halt hinfällt."
Der Rest ist Geschichte: Bohlen trennte sich von seiner Frau, die gerade das dritte Kind erwartete. Nadja Abd El Farrag kündigte Job und WG-Zimmer, zog mit Bohlen in eine Villa in Rosengarten bei Hamburg. 13 Zimmer, umgeben von einem Zierpark mit japanischem Teehäuschen, in dem ein Wasserfall plätscherte. Bohlen machte sie zu seiner Background-Sängerin. Statt Pullover zu verkaufen, jettete sie nun um den Erdball. Zuhause kochte und putzte sie, ging mit den vier Hunden - Shaky, Rocky, Rambo und Dicky - Gassi oder ritt auf ihrer Stute Sunny durch Rosengarten. "Ich mach die Kohle, sie das Haus. Da sparen wir die Putzfrau“, erklärte Bohlen Journalisten die heimische Arbeitsteilung.
"Bohlen wollte nicht, dass ich arbeiten gehe", erzählt Nadja Abd El Farrag. "Ich habe mir sogar mal einen Halbtagsjob im Altenheim gesucht. Für 19 Mark die Stunde. Aber Monsieur Bohlen rief mich dauernd auf der Arbeit an, sagte, komm, mach Feierabend, wir fahren jetzt nach Mallorca. Also habe ich wieder aufgehört."
So lebte "Naddel" weiter an Bohlens Seite, still, schön. Als Bohlen sich nach zwölf Jahren von ihr trennte, war sie geschrumpft zur Ex. Also versuchte sie, Geld mit ihrer Geschichte zu verdienen. Sie schrieb ein Kochbuch und eine Biografie, ließ vor laufender Kamera ihren Busen wiegen, würgte im Dschungelcamp lebendige, grüne Ameisen runter. Eine Zeitung schrieb: "Ich bin ein Nichts, bringt mich groß raus".
Ein paar Mal ließ sie sich in den Big-Brother-Container sperren, für fünfstellige Honorare. Als "Babe 1" säuselte sie im Auftrag einer Sexhotline Männern ins Ohr. Der Film steht noch immer im Netz - wie viele peinliche Filme von ihr. Ihr Name ist zum Synonym für Trash geworden. Nadja Abd El Farrag wird vorgeführt wie ein Zirkuspferd in der Manege. Und das Publikum sieht zu, wie sie strauchelt. Nichts ist komischer als das Unglück (natürlicher anderer), erkannte schon Samuel Beckett.
Warum tut sie sich das an? "Gute Frage. Ich muss Geld verdienen. So einfach ist das." Nadja Abd El Farrag wirkt nicht mal unglücklich, wie sie das so sagt. Sie lächelt, bleckt ihre schneeweißen Zähne, in ihrer Stimme schwingt ein Spur Trotz. Vielleicht hat sie sich wirklich abgefunden mit ihrem Schicksal. Vielleicht ist sie nur eine gute Schauspielerin. Vielleicht weiß sie tief im Inneren, dass sie in der Falle sitzt, weil sie einmal im Leben falsch abgebogen ist. In eine Sackgasse, die sie nun rauf- und runterfährt, ohne die Ausfahrt zu finden. Sie ist und bleibt die Ex von Bohlen, hat kein anderes Geschäftsmodell. Und wie wäre es mit einem ganz normalen Job? In einer Boutique oder im Altenheim? Nadja Abd El Farrag lacht: "In meinem Alter nimmt mich niemand mehr. Und wenn ich irgendwo an der Kasse säße, würden sich sofort die Reporter auf mich stürzen."
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