Österreichs Kanzler Karl Nehammer: Wie beweist man Führungsqualität? - DER SPIEGEL

2022-10-09 16:30:34 By : Ms. Cassiel Zhou

heute beschäftigen wir uns mit Kanzler Karl Nehammers schwierigem Start, mit Österreichs Vorpreschen in Sachen Impfpflicht – und einer 1,4 Milliarden Euro schweren Impflotterie.

Wer Bundeskanzler Karl Nehammer vergangene Woche traf, beim SPIEGEL-Interview im historischen Marmor-Ecksaal des Kanzleramts  , der erlebte einen Mann, der sich der Größe seiner Aufgabe bewusst zu sein scheint. Genau an jenem Ort, an dem 1934 der austrofaschistische Reichskanzler Engelbert Dollfuss ermordet worden ist, sprach Nehammer zuerst über die Krise Europas und über die EU als »das gelungenste Friedensprojekt in der Geschichte des Kontinents«. An seiner proeuropäischen Ausrichtung ließ der Regierungschef keinen Zweifel.

Weniger gern ging er auf seine Probleme an der innenpolitischen Front ein. Da ist zum einen die massive Kritik an der am Donnerstag im Parlament beschlossenen Impfpflicht.

Kanzler Nehammer beim SPIEGEL-Gespräch

Als Wortführer in der Debatte tat sich einmal mehr FPÖ-Chef Herbert Kickl hervor, der von einem »Attentat auf die Menschenwürde« und vom Weg in den »Gesundheitskommunismus« sprach. Letzteres eine denkwürdige Wortschöpfung.

Kritik am europaweit einzigartigen Vorstoß Österreichs kam aber nicht nur von Kickl. Lagerübergreifend wurde bemängelt, der Gesetzentwurf komme zu spät, weise handwerkliche juristische Mängel auf und sei insgesamt zu zahm ausgefallen.

Dass zusätzlich zum »Impfpflichterl«, wie Spötter sagen, ein 1,4 Milliarden Euro schweres Belohnungssystem samt Impflotterie auf den Weg gebracht wurde, gehorcht einer landesüblichen Logik. Robert Menasse prägte für den österreichischen Hang zur Uneindeutigkeit den Begriff des »Entweder-und-Oder«.

Karl Nehammer hat derzeit noch andere Sorgen. Angesprochen auf seine Aussage, die regierende ÖVP habe »kein Korruptionsproblem«, beklagte er sich während des SPIEGEL-Interviews im Kanzleramt über die Tendenz, »gegen die Österreichische Volkspartei eine Pauschalverdächtigung auszusprechen«. Kritisches über seinen Vorvorgänger Sebastian Kurz war ihm nicht zu entlocken. Nehammer räumte allerdings ein, dass die im Laufe der Korruptionsermittlungen öffentlich gewordenen Chats seiner Partei massiv geschadet hätten: »Das, was man da liest, ist völlig inakzeptabel.«

Impfgegner Herbert Kickl, FPÖ-Chef

Man wird wohl demnächst noch mehr Inakzeptables lesen. Das legen allein die vergangene Woche ans Licht gekommenen Unterhaltungen nahe. Es geht dabei unter anderem um krudes Postengeschacher im Justizapparat. Die Daten entstammen dem Nachrichtenfundus vom Handy des früheren Kabinettschefs im ÖVP-geführten Innenministerium.

Der Mann soll bei einem Ruderausflug mit Mitarbeitern ins Wasser gepurzelt sein und sein beschädigtes Mobiltelefon daraufhin einem Techniker des Inlandsgeheimdiensts zur Reparatur anvertraut haben. Der wertete die gespeicherten Daten aus und verkaufte sie offensichtlich weiter. Mit an Bord des havarierten Boots war laut Ermittlungsakt im Übrigen die Gattin des jetzigen Kanzlers, Katharina Nehammer.

Bekannt wurde gleichzeitig, dass in einer mit 150.000 Euro aus Steuergeldern finanzierten Umfrage herausgefunden werden sollte, welche Tiernamen zu welchen Politikern passen könnten. Sebastian Kurz wurde überwiegend mit einem »Delfin« oder einem »Eichhörnchen« verglichen. Die verantwortliche Meinungsforscherin zählt zu den zahlreichen Beschuldigten in den Ermittlungen zur Inseratenkorruption, die schließlich zum Rücktritt von Kurz führten.

Nachfolger Nehammer wird im ab 2. März laufenden Untersuchungsausschuss »betreffend Klärung von Korruptionsvorwürfen gegen ÖVP-Regierungsmitglieder« gleich zu Beginn als Zeuge einvernommen. Gleichzeitig laufen die strafrechtlichen Ermittlungen gegen diverse seiner Parteifreunde weiter. Spannende Monate stehen dem Kanzler und geschäftsführenden ÖVP-Chef bevor.

In Umfragen liegt die Koalition, ÖVP und Grüne zusammengenommen, bei nur noch 36 Prozent Zustimmung. Entsprechend gering ausgeprägt ist die Neigung zu Neuwahlen im Regierungslager. Anders gesagt: Nehammers Chancen, nicht als dritter Kanzler innerhalb kürzester Zeit aus dem Amt scheiden zu müssen, stehen bis auf Weiteres ganz ordentlich.

Wie Bundeskanzler Karl Nehammer die Lage der Nation sieht und wie die Impfpflicht funktionieren soll 

Wie Herbert Kickls Coronakurs die FPÖ spaltet

…und, als köstlichen Einblick in Sternstunden des österreichischen Parlamentarismus, der Rückblick eines Kollegen von der Rechercheplattform »zackzack« 

Walter Mayr (Korrespondent für Österreich und Südosteuropa, DER SPIEGEL)

Und noch einmal der Hinweis in eigener Sache: Dieses Briefing als Newsletter in Ihr E-Mail-Postfach können Sie hier bestellen.

Kanzler Nehammer beim SPIEGEL-Gespräch

Impfgegner Herbert Kickl, FPÖ-Chef

Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit