Das gusseiserne Tor des Palasts ziert ein goldener Doppeladler – ganz so wie über dem Tor des Petersburger Winterpalasts, des Hauptsitzes der russischen Zaren. Hat man es erstmal passiert, wähnt man sich in einem Palazzo eines florentinischen Adelsgeschlechts: Im Zentrum des Innenhofs sprudelt eine Fontäne, Marmorsäulen zu allen vier Seiten bilden Galerien. Im Inneren setzt sich die Pracht fort. Goldener Stuck, gewaltige Kristallleuchter, Fresken und Malereien empfangen den Besucher. In diesem Ambiente dürfte sich auch Ludwig XIV. wohl gefühlt haben.
Doch der Prachtbau steht weder in Versailles noch in Sankt Petersburg oder in Florenz. Wir sind an der Küste des Schwarzen Meers, in der Nähe des kleinen Orts Gelendschik – zu Besuch bei Waldimir Putin. Die einmaligen Einblicke liefert uns Alexej Nawalny. In kleinteiligster Arbeit trugen der Oppositionspolitiker und sein Fond zur Korruptionsbekämpfung FBK tausende Zollunterlagen, Steuerbescheide und Lieferantenverzeichnisse zusammen. Sie durchstöberten Möbelkataloge italienischer Hersteller und tricksten sogar den FSB aus, um Drohnen über das Anwesen fliegen zu lassen.
Die 3D-Rekonstruktion des Palasts, die Nawalny nun im Rahmen eines zweistündigen Films vorlegte, stützt sich auch auf Architektenpläne, die das riesige Gebäude mit einer Fläche von rund 17.700 Quadratmetern bis ins kleinste Details zeigen. Ein ehemaliger Auftragnehmer, der an dem Bau beteiligt war, habe diese dem FBK-Team zugespielt, weil er "fassungslos und wütend über die luxuriöse Ausstattung, Dekorationen und die astronomischen Preise für die Möbel" gewesen sei, erklärt Nawalny.
In den Plänen ist alles notiert – von Mustern des Parketts über Artikelnummern aller Möbelstücke bis hin zu der Platzierung von Steckdosen. Fotoaufnahmen, die von Bauarbeitern noch im Jahr 2011 geleakt wurden, decken sich mit den Bauplänen und betätigen so ihre Echtheit.
Einer der Hauptausstatter des Palasts, der exklusive italienische Möbelhersteller Pozzili, bestätigte zudem aus Versehen, dass man tatsächlich das Anwesen beliefert hat und verriet sogar, welche Möbelstücke genau verkauft wurden. Der Möbelfabrikant AB Italia wirbt sogar auf seiner Website mit den Interieurs, die an Putin verkauft worden sind.
"Das heißt, Sie und ich können buchstäblich sehen, auf welchen Sofas Wladimir Putin sitzt, auf welchen Betten er liegt, an welchen Tischen er isst", so leitet Nawalny die virtuelle Tour durch das 3D-Modell des Palasts ein.
In den Fällen, in denen Fotodokumente fehlten, könne es leichte Abweichungen geben, etwa was das Muster der Tapeten oder die Farbgebung betrifft, warnt Nawalny vor. Wenn Fotoaufnahmen der Räume oder der Möbel existieren, entspreche die Rekonstruktion aber zu 100 Prozent den Originalen.
Eine kleine Auswahl der Möbelstücke aus Putins Interieur: Ledersofas der Firma Ezio Bellotti für 22.751 Euro. Ein Esstisch mit handgefertigten Schnitzereien und einer ausfahrbareren Bar in der Mitte des exklusiven italienischen Möbelherstellers Cittterio für 45.860 Euro. Die Flure seines Palasts hat Putin mit Sofas derselben Marke ausgestattet, zu einem Stückpreis von 18.901 Euro. Insgesamt hat Nawalny in dem Anwesen 47 Sofas gezählt.
Vom sogenannten Lesezimmer gibt es zahlreiche Aufnahmen, die unter anderem von Bauarbeitern verbreitet wurden, die sich den Spaß gönnten, auf den imperialistischen Sofas für die Kamera zu posieren. In dem in Gold und Weiß gehaltenem Saal kommt Putins Vorliebe für Doppeladler wieder zum Vorschein – nicht nur das Wappen der russischen Zaren, sondern auch seit 1993 das der Russischen Föderation. Unzählige Mal ziert das Motiv die Wände.
Die Sehnsucht nach der Zarenzeit ist bei Putin offenbar so groß, dass sein so genanntes Lesezimmer verdächtig an den großen Thronsaal im Winterpalast in Sankt Petersburg erinnert. Auch dieser ist ganz in Weiß und Gold gehalten.
Das Schlafzimmer Putins gleicht einem kaiserlichen Boudoir mit einem Baldachin-Bett im Zentrum.
Der Designer des Bads en suite ließ sich offenbar von antiken römischen Bädern inspirieren.
In seinem Palast hat sich der Kreml-Chef ein ganzes Theater – mit Logen auf zwei Ebenen, Umkleideräumen für die Künstler und vergoldetem Stuck an der Decke – einbauen lassen. Mehrfach haben bereits Stars und Sternchen des russischen Showbusiness von Vorstellungen in diesem Theater erzählt, zu denen sie geladen wurden. Dabei scheint Putin nicht nur beim Interieur imperialistische Vorlieben zu haben, sondern auch bei der Kleiderwahl. Die Sängerin Natalja Wetlizkaja berichtetet bereits vor einigen Jahren über einen Auftritt, den sie in einem Kostüm aus der Zeit der Zarin Katharina der Großen vor Putin und seinen fünf Gästen absolvieren musste.
Der Palast Putins ist von zwei Seiten von Weingütern umgeben. Die Ausstattung der dazugehörigen Manufakturen kann sich ebenfalls blicken lassen. Zollunterlagen des Ausstatters belegen etwa den Kauf einer Glasvase für rund 30.000 Euro, einer Hängeleuchte für 36.000 Euro, eines Kaffeetisches für 48.500 Euro. Die Liste wird gekrönt von Klobürsten zu einem Stückpreis von 700 Euro, und Klopapierhaltern für 1038 Euro. Und das nicht mal für die Ausstattung eines Wohnhauses oder einer Datscha, sondern einer Fabrik.
"Das Problem mit diesem Palast ist nicht der schlechte Geschmack des Besitzers", sagt Nawalny. "Ja, es ist beängstigend, die Regierung des Landes jemandem anzuvertrauen, der so eindeutig nach Luxus süchtig ist. Aber am Ende ist an einer Vorliebe für Stuck und Vergoldungen nichts Verbrecherisches." Das Problem sei die Quelle des Geldes, mit dem das alles bezahlt wurde.
"Das ist nicht einfach ein Gebäude, das ist ein Symbol der 20-jährigen Herrschaft Putins", fasst Nawalny zusammen. Alles ermöglicht durch die "größte Bestechung der Geschichte", da für die Baukosten russische Oligarchen aufgekommen sind, die das Geld zumindest zum Teil aus der Staatskasse und von den Konten der Staatsunternehmen abzweigen. Welchen Wert der Palast hat, könne man nicht genau sagen, da solche Objekte nicht gehandelt werden. Doch ausgehend von den Baukosten, die bekannt sind, liege der Wert nach seinen Berechnungen bei minimal 1,3 Milliarden Euro.
Innerhalb von nicht einmal vier Tagen ist der Film von Nawalny allein auf dem offiziellen Youtube-Kanal des Oppositionspolitikers mehr als 65 Millionen Mal angesehen worden (Stand Samstagmorgen, 23. Januar). Inzwischen wird der Druck der Öffentlichkeit so groß, dass der Kreml sich zum Gegensteuern gezwungen sieht. Wie so oft in solchen kritischen Situationen werden zunächst treue Propagandisten dazu benutz, um Informationen zu streuen – um zu sehen, wie die Bevölkerung darauf reagiert.
Als einer der ersten meldete sich nun der offizielle Biograf Putins, Alexander Korobko, zur Wort. In einem Interview mit der Propaganda-Plattform "Tsargrad", erzählte er, dass eine Gruppe von Oligarchen den Palast Putin geschenkt haben könnte. Er könne aber keine Namen nennen. "Stellen Sie sich vor, mehrere Oligarchen haben zusammengelegt und dem Präsidenten ein Geschenk gemacht. Eins, das eben ihrem Geschmack entspricht und in einer Größe, die dem Präsidenten ihren immensen Respekt zeigen sollte."
Das Ergebnis sei zugegebenermaßen eine Mischung aus Versailles und Dubai. "Ich glaube, der Präsident hat innerlich das Gesicht verzogen, als man ihm das geschenkt hat. Aber er ist eine diplomatische Person. Ich bin sicher, dass er diese Oligarchen nicht beleidigen wollte, und deswegen die Entscheidung über dieses Geschenk auf bessere Zeiten verschoben hat", erzähle Korobko seine Version. Eigentlich habe Putin es ja nicht angenommen.
Offenbar versucht der Krem-Chef wieder seine alte Leier anstimmen – von dem guten Zaren und den bösen Bojaren.
Alle Unterlagen, 3D-Modelle und Fotos finden Sie hier, auf der Website des FBK.
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